Das Heilige Grab von Pullenreuth ist ein Schatz

Dem Zeitgeist entkommen

PULLENREUTH (vn) – Wer den katholischen Glauben ernst nimmt, will ihn in all seinen Dimensionen ernst nehmen. Dazu gehört die jahrhundertealte Tradition, den Glauben zu spielen, zu bauen und die zentralen Glaubensinhalte der Geschichte liebevoll imitierend und zeigend vorzuführen. Diese Form vermittelnder Weitergabe vollzieht sich in Heiligen Gräbern und in Krippen. Das Heilige Grab ist die größere und ältere Schwester der Weihnachtskrippe. Wieso aber sind im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) viele Heilige Gräber untergegangen? Ein reiches Exemplar dieser frommen Schau – des „Theatrum sacrum“ – hat in Pullenreuth, südöstlich von Marktredwitz – überlebt. Warum? Und wer wollte es abschaffen? Eine Spurensuche.

Eine Veröffentlichung des Heimatvereins Gesellschaft Steinwaldia fasst die Geschichte des Heiligen Grabes zusammen: „Mit Kaiser Konstantin erwachte ein großes Interesse an den heiligen Stätten – und in der Barockzeit der Wunsch, diese heiligen Stätten nachzubauen und sie in den Alltag der Gläubigen zu holen. Mit der Liturgiereform und der Neu­gestaltung der Kar- und Osterliturgie gerieten die Heiligen Gräber in den Hintergrund, da sie in der erneuerten Liturgie den notwendigen Platz nicht mehr fanden.“ Um die Bedeutung der Heiligen Gräber zu verstehen, müsse man sich in Erinnerung rufen, dass die Liturgie auf Lateinisch abgehalten wurde und sowohl durch Palmen als auch durch bunte Lichter die Auferstehung begreifbar gemacht werden sollte: „Man konnte es mit eigenen Augen sehen, bekam eine Vorstellung.“ Leider fielen zahlreiche Heilige Gräber dem Erneuerungseifer „gründlich“ zum Opfer, so die Steinwaldia weiter: „Umso mehr darf sich Pullenreuth glücklich schätzen, diesen Schatz bewahrt zu haben und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ Aber nicht nur die liturgische Neuerung ist „schuld“ am Verschwinden vieler Zeugnisse, sondern auch zeitgeistige Menschen mit wenig Verständnis haben dazu beigetragen.

Bereits 2023 war das Grab von Pullenreuth nach seiner aufwendigen Instandsetzung mit Hilfe weltlicher Institutionen wieder aufgestellt worden. Bischof Rudolf Voderholzer war gekommen. Er sprach von einem „historischen Tag“, da es nach 60 Jahren wieder zugänglich wurde: „Es ist vor allem Ihrem hartnäckigen Engagement und Ihrer Leidenschaft zu verdanken, dass dieses Heilige Grab wieder aufgestellt werden konnte: hier, in Ihrer Pfarrkirche.“ Einer der Motoren der Rettung war und ist Norbert Reger, Vorsitzender der Steinwaldia.

In den 1960er-Jahren waren die Heiligen Gräber in Verruf gekommen, aber nicht zum ersten Mal. Bereits in der Aufklärungszeit am Ende des 18. Jahrhunderts hatten große Teile der Obrigkeit kein Verständnis mehr für die Konkretheit und die Sichtbarkeit des Glaubens. Die Heiligen Gräber aber waren dem gläubigen Volk und vielen Menschen ans Herz gewachsen und entsprachen einer inneren Notwendigkeit des Glaubens selbst. Das erklärte Bischof Voderholzer anlässlich der Segnung. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war es zunächst zu einer Renaissance der Formen der Volkskunst gekommen. In den Jahren um das Zweite Vatikanische Konzil folgte ein neuer­licher Bildersturm, dem „Pullenreuth“ beinahe wieder und damals endgültig zum Opfer gefallen wäre.

Oft in der Geschichte retten gläubige Laien, die ihre Heimat lieben, die religiösen Volkskunstschätze als Ausdruck der Kultur an Ort und Stelle, während Verantwortliche andere Vorstellungen hegen. Norbert Reger und die Steinwaldia sind dafür exemplarisch. Christa Haubelt-Schlosser von den Kunstsammlungen des Bistums beschreibt die Wirkweise der Heiligen Gräber, in der die Motivation steckt, sie aufzustellen: „Im Vergleich zu den generellen Bildmotiven im Kirchenraum gehen die österlichen Festtags­dekorationen über die rein bildlich erzählende Darstellung hinaus. Sie sind Erleben der österlichen Botschaft.“ Im Bistum ist seit Jahren der Prozess im Gange, sich dieser Schätze „von einst“ zu erinnern, sie herauszuholen und im Glaubens­leben einzusetzen. Krippen, Heilige Gräber, Palmesel sowie überhaupt der zu sehende und in seiner Konkretheit stützende Glaube erfahren Hochschätzung. „Da gibt’s so eine Entwicklung, dass Pfarreien sie wieder herausholen.“ In diese Worte fasst es Haubelt-Schlosser. Eine Auflistung der Bestände existiert noch nicht. Kontakte zu akademischen Institutionen sind gebahnt. Weitere Heilige Gräber in Bayern gibt es unter anderem in Rottach-Egern, Aschau (Chiemgau) sowie im mittelfränkischen Virnsberg, wo die Kirche gleich das Patrozinium „Heiliges Grab“ trägt. Die Heiligen Gräber in Tirol, wo die Tradition nicht minder war, viele überlebten und Verantwortliche sich besannen, sind erfasst und in einem Buch gewürdigt: Reinhard Rampold, Heilige Gräber in Tirol, Innsbruck 2009.

Tragische Vernichtung

Pullenreuth zeigt vergangene und gerettete Schönheit der Glaubensvermittlung. Das Heilige Grab von Hohenburg wird derzeit re­stauriert. Womit haben wir es aber zu tun? Es geht um eine Verwirklichung des „Theatrum sacrum“, wie es in der Barockzeit eine große Rolle spielte, weiß Haubelt-Schlosser. Pullenreuths Anfänge liegen im Spätbarock. Anhand pfarrlicher Rechnungen weiß man das. Es waren zahlreiche Männer nötig, das Heilige Grab aufzustellen. Es geht um Kulissengräber. Kulturgeschichtlich interessant ist, dass historische Vorgänge und Bestände aus dem Heiligen Land in andere Gegenden der Welt transferiert und dort nachgebaut werden – ein Ausdruck der engen Verschlungenheit von Glaube und Kultur in der Region, und das mit, wie man heute sagen würde, internationalem Anspruch. Gleichzeitig verweist das auf die schwer zu überbietende prägende Verwurzelung des katholischen Glaubens in der Fläche und bei vielen Menschen.

Auch noch der Holzwurm?

Es ist eine Tragik, dass immer wieder solche Schätze vernichtet werden. Was sind die Gründe? Erstens das Unverständnis für die Notwendigkeit, dass sich der Glaube im ­Leben sichtlich entfaltet, zweitens die schreckliche Tendenz, den Glauben funktional wegzuadministrieren, und drittens mehr Banausentum in der Kirche als im säkularen Umfeld. „Man wollte das nicht mehr haben“, so fasst es Haubelt-Schlosser zusammen. Ein Überoptimismus des Fortschritts der 1960er-Jahre, eine Machbarkeitshaltung sowie die undemütige Geringschätzung der Formen des Glaubens und damit des Glaubens der Menschen früher stehen dahinter. Wie auch immer konkret es sich zugetragen hat: Der Pfarrer in Pullenreuth jener Jahre war dagegen, das Heilige Grab aufzustellen. Man hört von Bedenken, dass wegen des altarraumfüllenden Grabes „wenig Platz für die Feier der Kar- und Osterliturgie“ geblieben wäre. Als nach einem Brand – das Ensemble der Bauten konnte auch davor bewahrt werden – das Grab andernorts eingelagert werden sollte, machte der Pfarrer einen angeblichen Holzwurmbefall geltend.
Es trifft zu, dass in der Vergangenheit die Volksfrömmigkeit ab und an überbordete und kritische Mischformen zeitigte. Nicht zu Unrecht habe Bischof Ignatius von Senestréy im 19. Jahrhundert dem Kötztinger Pfingstritt die Mittragedimension des Altarsakraments genommen, schätzt Hermann Reidel, Diözesankonservator bis 2017, ein.

Dennoch ist es wichtig, bewährte und bei vielen verwurzelte Zugänge zum Glauben nicht einfach zu kappen. Entsprechende Vorsicht scheint immerhin in wilden Zeiten des Umbaus kirchlicher Formen im Umfeld des Konzils im Bistum gewaltet zu haben. Offizial Josef Ammer teilt auf Anfrage mit, im Amtsblatt von 1956 werde zur Karfreitagsliturgie präzisiert, dass die Errichtung eines Heiligen Grabes zu den volkstümlichsten und eindrucksvollsten Bräuchen gehöre und beibehalten werden dürfe. Der Leichnam Christi im Grab solle durch einen Vorhang bis nach der Feier der Liturgie verdeckt sein. Dann möge er zurückgezogen werden. Das Grab möge, „wie bisher üblich“, recht pietätvoll mit Blumen, Pflanzen und Lichtern geschmückt werden. 1963, nach Erlass der Liturgiekonstitution, heißt es, wo die Errichtung des Heiligen Grabes und die Aussetzung des Allerheiligsten am Grab üblich ist, möge sie beibehalten werden.
So zeichnet sich ab, dass es ein in manchem Geistlichen wirkendes Unverständnis war, das auf Abschaffung aus war. Bischof Rudolf Graber (1962-1982) sei „mit Sicherheit nicht“ gegen die Heiligen Gräber vorgegangen, sagt der Münchner Professor Ludwig Mödl. Der Pastoral­theologe bestätigt schlicht: „Es war der Zeitgeist.“
St. Martin in Pullenreuth mit dem Heiligen Grab ist vom 29. März bis zum 5. April von 9 bis 22 Uhr geöffnet. Weitere Informationen (auch zur Liturgie) unter www.steinwaldia.de

26.03.2024 - Bistum , Bistum Regensburg